Paradigmenwechsel für Recyclingkunststoffe in Deutschland
Im Zuge des Ukraine-Kriegs steht der Wandel von der Abhängigkeit zur Unabhängigkeit Deutschlands von russischen Energieimporten ganz oben auf der Tagesordnung der Bundesregierung. Mit der damit eingeleiteten Veränderung des Rohstoffmarktes für Öl und Gas ist nicht nur mit einer drastischen Preiserhöhung, sondern durchaus auch mit einer Verknappung der Ressourcen Erdgas und Rohöl zu rechnen. Spürbar wird die nicht nur an den Zapfsäulen der Tankstellen. In weiten Bereichen der chemischen und nahezu in der gesamten kunststoffverarbeitenden Industrie sind die Folgen dieses Rohstoffmangels zunehmend zu spüren. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Frage nach der Verstärkung der Akzeptanz des Einsatzes von Recyclingkunststoffen.
Vielen Experten war immer bewusst, Kunststoffabfälle bieten mehr Potenzial als das eines Ersatzbrennstoffes oder das eines mausgrauen Pflanzkübels. Viele Kunststoffanwender setzen sortenrein aufbereitete Recyclingkunststoffe, wenn auch in geringen Konzentrationen bei der Herstellung hochwertiger Produkte ein. Nun ist jedoch ein klarer Wechsel des Images von Recyclingkunststoff vom „Zeugnis Grünen Gewissens" zum Hoffnungsträger eines ganzen Wirtschaftszweiges zu erwarten. Zunehmend sind Anfragen von Kunststoffverarbeitern nach sorten- und möglichst farbreinem Recyclaten festzustellen, die Neuware ersetzen sollen. Damit sind mehrere Problemstellungen und Ansprüche verbunden.
Einerseits ist sicherzustellen, dass mehr Kunststoffrecyclat für die Kunststoffverarbeitung bereitgestellt werden kann. Damit muss bereits auf die Abfallerzeuger hingewirkt werden, Kunststoffe konsequent und sortenrein zu trennen. Weiterführend müssen qualifizierte Kunststoffverwerter konsequent gefördert werden. Spätestens in der jetzigen wirtschaftspolitischen Lage wird aus dem Abfall Kunststoff der Rohstoff Kunststoff und damit wird aus verwertetem Kunststoffabfall das Produkt Recyclingkunststoff.
Diese Erkenntnis muss sich sowohl bei Politik und Genehmigungsbehörden etablieren als auch bei den Kunststoffverwertern, der kunststoffverarbeitenden Industrie und deren Kunden.
Klarzustellen ist aber auch, dass ein qualifiziertes Kunststoffrecycling nicht nur der Gewerbeabfallverordnung bedarf. Wichtig ist, dass die politischen Weichen gestellt werden, die den konsequenten Marktzugang für Recyclingkunststoffe in die Industrie ermöglichen.
Dr. Mike Kersten
ö.b.u.v. Sachverständiger der Ingenieurkammer Sachsen-Anhalt, Sachgebiet Abfallstoffe